«Wir sind erschöpft, überarbeitet und ausgelaugt»

Die 1. Mai-Rede von Andreas Daurù, Kantonsrat und Co-Präsident a.i. der SP Kanton Zürich, gegen die geplanten Spitalprivatisierungen:

«Wir sind erschöpft, überarbeitet und ausgelaugt» – Dies sind Worte aus einem Brief, der Anfang Juni letzten Jahres von Pflegenden eines kurz zuvor privatisierten Spitals in Hamburg an die Klinikleitung geschrieben wurde. In einem weiteren Satz steht dann noch unmissverständlich formuliert: «Der Personalmangel gefährdet die Patienten, das sollte Ihnen allen bewusst sein. Wir arbeiten hier mit schwer kranken Menschen zusammen und nicht mit leblosen Gegenständen».

Dies Worte sind ein Hilfeschrei von verzweifelten und überarbeiteten Angestellten aus sieben vormals öffentlichen Kliniken der Stadt Hamburg, welche allesamt in einem Schnurz an die private Spitalkette Asklepios verkauf wurden. Nicht nur, das dabei die Stadt Hamburg einen miserablen finanziellen Deal eingegangen ist. Nein, sie hat auch die gesundheitliche Grund- und Spezialversorgung der eigenen Bevölkerung – der Bevölkerung der zweitgrössten Stadt Deutschlands – aufs Spiel gesetzt.

Der Personalmangel gefährdet die Patienten, das sollte Ihnen allen bewusst sein. Wir arbeiten hier mit schwer kranken Menschen zusammen und nicht mit leblosen Gegenständen!

Über kurz oder lang werden die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Hamburg dieses Spiel verlieren. Dann nämlich, wenn das Personal nicht mehr kann und die Qualität der Betreuung der Patientinnen und Patienten nicht mehr nur leidet, sondern schlicht und einfach nicht mehr vorhanden ist und es gefährlich wird. Dann nämlich, wenn sich dieses Spital aufgrund völlig überrissener und unmöglich zu erreichenden Gewinnvorstellungen nur noch jenen Patientinnen und Patienten widmet, welche lukrativ sind: Junge, bei denen gut bezahlte Eingriffe, wie z.B. in der Orthopädie, gemacht werden können und die am liebsten auch noch privat versichert sein sollten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum erzähle ich euch das? Dieses Hamburg könnte in naher Zukunft genau so gut Winterthur heissen – oder Bülach, Männedorf, Wetzikon oder Neuenburg: Alles Städte und Gemeinden, die entweder ihre Spitäler bereits in Aktiengesellschaften umgewandelt haben oder bei denen der Kanton dies plant. Denn die Mehrheit der Regierung und des Parlaments dieses Kantons – unter der Federführung des neoliberalen Privatisierungsneurotikers und Ungesundheitsdirektors Thomas Heiniger, im Schlepptau die FDP, die über den Tisch gezogene SVP und weitere rechte und hellgrünliberale Technokraten – möchten es der Stadt Hamburg gleich tun: das Kantonsspital Winterthur und die Integrierte Psychiatrie Winterthur sollen als Paradebeispiele für eine pseudo-marktgesteuerte Spitalpolitik hinhalten, die nicht funktioniert und so auch nie funktionieren kann.

Ein gefährliches Experiment mit unserer Gesundheitsversorgung

Die beiden Spitäler und deren Einzugsgebiet – wir Winterthurerinnen und Winterthurer, Zürcher Unterländerinnen und Unterländer, Weinländerinnen und Tösstaler – sollen hinhalten für ein gefährliches Experiment mit unserer Gesundheitsversorgung. Geplant ist eine Privatisierung in eine AG mit nachträglich geplantem Verkauf der Aktien, mittelfristig gar der Aktienmehrheit. Und an wen sollen diese Aktien gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen? Die Befürworter dieses rücksichtslosen Vorhabens möchten uns weiss machen, dass diese sicher in öffentlicher Hand bleiben werden, dass allenfalls die Gemeinden und die Stadt diese Aktien kaufen würden. Sie werfen uns vor, wir würden hier eine unnötige Angstkampagne fahren.

Doch dies ist keine Angstkampagne, liebe Rechte, lieber Regierungsrat Heiniger. Sie selber wissen genau, wie der Hase läuft – Sie haben ihn ja selbst loshoppeln lassen: Die Gemeinden haben nicht die finanziellen Ressourcen dazu, nachdem sie über Jahre hinweg systematisch ausgehungert wurden. Wer daran die Hauptschuld trägt, muss ich hier nicht erwähnen. Zudem haben die rechten Gallionsfiguren selber das entsprechende Gesetz auf den Weg gebracht, welches die Gemeinden aus der Verantwortung in der Spitalversorgung nimmt und einen ökonomisch sinnlosen Wettbewerb zwischen Spitälern in diesem Land, in diesem Kanton anstrebt. Dieser wird sich selber zum Erliegen bringen, aber erst viel zu spät. Dann nämlich, wenn unserer Gesundheitsversorgung bereits heruntergewirtschaftet wurde.

Patientinnen und Patienten als «Cash-Cows»

Ihr, liebe Kolleginnen und Kollegen, wisst selber am besten, wer die Aktien unserer gut funktionierenden und gesunden Spitäler kaufen wird. Ja, es sind z.B. diese Spitalkonzerne und -ketten aus Hamburg oder sonst wo in Deutschland oder undurchsichtige Holdings aus der Schweiz oder – wie bei Hirslanden – gar aus Südafrika.

Es ist z.B. die Ameos–Gruppe aus Deutschland mit über 70 Klinikstandorten und ihrem CEO Axel Prager, der sagt: «Unser Ziel ist es, in der ganzen Schweiz öffentliche Spitäler zu übernehmen». Es ist z.B. die Röhn–Kliniken AG mit ihrem Gründer Eugen Münch, der die Patientinnen und Patienten seiner Spitäler als Milchkühe betrachtet, wenn er vom «Cash Cow–Segmet der lukrativen Patientinnen und Patienten» spricht.

Als erstes wurden der GAV gekündigt, die Arbeitszeit verlängert, die Sonntags- und Nachtarbeitszulagen abgebaut, der Mutterschaftsurlaub gekürzt und die Reinigung, die Wäscherei und die Küche ausgelagert.

Es sind aber auch heimische Spitalgruppen die sich erhoffen, z.B. mit Aktien des KSW ein gutes Geschäft zu machen. Die Aevis– Holding, die neben Schweizer Luxushotels noch Spitäler besitzt und betreibt, hat uns schon einen Vorgeschmack gegeben, wie es kommt, wenn sie Spitäler übernimmt. Stichwort Neuenburg, Spital La Providence: Genolier, eine Tochter dieser Aevis-Holding, übernahm dort den Betrieb und die Leitung. Als erstes wurden der GAV gekündigt, die Arbeitszeit verlängert, die Sonntags- und Nachtarbeitszulagen abgebaut, der Mutterschaftsurlaub gekürzt und die Reinigung, die Wäscherei und die Küche ausgelagert. Ja, so geht es, wenn private, gewinnorientierte Unternehmen unsere stationäre Grundversorgung übernehmen.

Ihr erinnert euch vielleicht an das letzthin in den Medien veröffentlichte und in seiner Frechheit nicht zu überbietende Angebot der Hirslanden–Kliniken an die Gesundheitsvorsteherin der Stadt Zürich, sie würden die beiden Stadtspitäler Triemli und Waid wesentlich effizienter und günstiger betreiben. Ja wie wird das wohl gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen? Genau so, wie es eben die Genolier macht oder die Asklepios in Hamburg: es wird als erstes beim Personal gespart und somit die Qualität abgebaut und eine Rosinenpickerei – also eine gewinnorientierte Selektion der Patientinnen und Patienten – betrieben. Anders ist es gar nicht möglich!

Patientinnen und Patienten bleiben auf der Strecke

Auf der Strecke bleiben dann die Patientinnen und Patienten, die mehrfach erkrankt sind, die chronisch krank sind, die älteren Semesters sind. Ebenfalls auf der Strecke bleiben Kinder- und Jugendliche, denn die Kinder- und Jugendmedizin ist kein rentabler Zweig unter den medizinischen Fachgebieten. Diese Menschen soll dann wieder der Staat behandeln. Bei uns im Kanton Zürich bleibt dann schlussendlich nur noch das Unispital, welches die schweren Fälle behandeln darf, damit die anderen privatisierten Kliniken ihren Aktionärinnen und Aktionären entsprechend schöne Dividenden auszahlen kann. Bei einer Hirslanden gehen die Gewinne zum Beispiel nach London und Südafrika, dorthin nämlich, wo die Besitzerin der Hirslanden-Gruppe an der Börse kotiert ist. Kontrolliert wird diese Holding von Johann Rupert, einem der mächtigsten und reichsten Unternehmer Südafrikas.

Diese Spitalkonzerne machen längst kein Geheimnis mehr draus, dass ihre Gewinnvorstellungen doppelt so hoch sind, wie jene von Schweizer Spitälern oder eben die vom KSW erreichten Zahlen. Ein Beispiel gefällig? Das KSW machte 2015, als eines der wirtschaftlich erfolgreichsten Spitäler in diesem Kanton, abgesehen vom Hirslanden natürlich, welches sich mehr und mehr aus der Verantwortung der Grundversorgung zurückzieht, obwohl es auf der Spitalliste ist – das KSW also macht eine EBITDA–Marge von 6,8 Prozent. Die Hamburger Asklepios–Kette erreicht knapp 12 Prozent – sie muss es, denn dies geben Geschäftsleitung und Verwaltungsrat so vor.

Gewinne Privat, Verluste dem Staat

Das ist nicht unsere Vorstellung eines Gesundheitswesens, eines Service Public für alle! Es ist die Vorstellung von rechten Politikerinnen und Politikern und deren Wählerschaft. Wir können es wieder einmal in einem einfachen Satz zusammenfassen: Gewinne Privat, Verluste dem Staat!

Denn auch da: sollte das KSW einmal heruntergewirtschaftet sein, wird es der Kanton wieder aufpäppeln müssen – es ist schlicht und einfach «too big to fail». Das kennen wir alle bestens von gewissen Banken. Hinzu kommt, dass uns zuvor noch die demokratische Kontrolle und Aufsicht genommen wird, denn mit dieser hätten wir allenfalls noch die Chance gehabt, in einem solchen Fall das Schlimmste zu verhindern. Aber wir hören es direkt vom Ort des Geschehens, vom Direktor des KSW, wenn er sagt, heute rede ihm jeder Kantonsrat drein. Eine Geringschätzung unserer demokratischen Institutionen und somit auch der Bevölkerung sondergleichen. «Eine Entfesselung des Spitals aus den Fängen des Staates!» – auch das ist immer wieder zu hören. Meiner Meinung nach hat sich der Spitaldirektor jetzt schon unkontrolliert entfesselt.

Privatisierungsneurotiker stoppen!

Je dünner die demokratische Kontrolle und Aufsicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, desto schwächer werden die staatlichen Aufgaben und die grundlegenden Dienstleistungen. Und umso verletzlicher werden wir, die Bewohnerinnen und Bewohner dieses Staates, dieses Kantons. Die Privatisierungsneurotiker der neoliberalen Kaste machen uns mit ihrem Ausverkauf der öffentlichen Infrastruktur und des Service Public über kurz oder lang zu Patientinnen und Patienten eines heruntergewirtschafteten Systems.

Kämpfen wir für unsere langfristige Gesundheit und unser Wohlergehen, lehnen wir Privatisierungen heute, hier und jetzt und auch in Zukunft ab! Ich danke euch.

(Es gilt das gesprochene Wort.)

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